Ich hasse dieses Bild so sehr, dass es schwer ist in Worte zu fassen. Ursprünglicher Link: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darwin-chart.PNG#filelinks |
Evolutionstheorie zu verstehen ist schwerer als viele
Menschen annehmen.
Oberflächlich wirkt die biologische Evolution so, als würde
sie stetig voranschreiten. Organismen "verbessern" sich und werden
"immer komplexer". Moderne Industriegesellschaften sind stark mit dem
Fortschrittsgedanken verbunden. Gesellschaften werden immer besser,
Verarbeitungsprozesse effizienter. Alles geht stetig vorwärts. Schier
unaufhaltsam scheint der menschliche Geist darin zu sein, wenn darum geht seine
Lebensprobleme zu vernichten. Wie viel von diesen Gedanken lediglich
materialistische Heilsversprechen sind und was davon der Realität entspricht,
vermag ich nicht zu sagen. Doch kann ich etwas über die Gleichsetzung von
industriellem Fortschritt und biologischer Evolution sagen.
Der "March of Progress" ist vermutlich das größte
Verbrechen, was jemals in Bezug auf die öffentliche Darstellung der
Evolutionstheorie begangen wurde.
Es stellt die Evolution des Menschen anhand einer linearen
Kette dar. Von einem fast vierbeinig gehendem Vormenschen (im Original war die
Ramapithecus, der mittlerweile zu Sivapithecus gehört und damit eher in näherer
Verwandtschaft zum Orang Utan steht), über mehrere "Zwischenformen"
hin zum modernen Menschen.
Vieles ist falsch an diesem Bild:
1. Die dargestellte Transition des von Quadrupedie zur
Bipedie fand in dieser Form niemals statt und konnte so niemals stattgefunden
haben. Halb aufrecht gehende Formen wären schlicht und ergreifend zu
ineffizient in ihrer Fortbewegungsweise, als das sie Überlebensfähig gewesen
wären.
2. Verlief die Evolution des Menschen (so wie die jedes
rezenten Organismus und jedes zukünftigen Organismus) nicht geradlinig. Es gab
Abzweigungen, Sackgassen und sogar vielleicht die nachträgliche Verschmelzung
von separaten Linien.
3. Gibt es keine Richtung, keinen Endpunkt und keinen Sinn
in der biologischen Evolution.
Man kann es Menschen nicht verübeln, wenn diese in der
Evolution der Organismen eine Richtung sehen wollen. Viel zu sehr war die
Evolutionstheorie selbst in der Fortschrittsideologie des 19. Jahrhunderts
verortet. Was mehr würde zeigen, dass der unaufhaltsame Weg in die Moderne der
einzig wahre ist, als die Tatsache, dass unsere eigene Existenz aus einem
solchen Prozess entstanden ist.
Das Problem an der Evolutionstheorie ist, dass sie unserer
Art die Welt wahrzunehmen entgegenläuft. Wir leben in einer Welt, die von
Effekt und Ursache definiert und von klaren Zielen und Absichten bestimmt wird.
Warum es für viele Menschen unvorstellbar ist, dass alle Lebewesen nur das gegenwärtige
Resultat eines zufälligen Auswahlprozesses sind, hat einfach damit zu tun, dass
unsere Welt keinen Raum für ein solches Konzept hat.
Die Sprache ist der größte Feind eines Evolutionsbiologen,
wenn es darum geht, diese zu erklären. Denn sie ist ebenso durchzogen mit
intentionalen Formulierungen und Begriffen, die unsere Realität allerdings nur
bedingt wiedergeben.
Wenn davon gesprochen wird, dass "Tiere ein Interesse
hätte sich in einer bestimmten Art zu verhalten, da dies ihrer Fitness
zuträglich sei", dann wirkt dies auf Außenstehende so, als würden Organismen
in diesen Fragen rationale Entscheidungsprozesse durchlaufen.
Eigentlich ist damit jedoch gemeint, dass ein bestimmter
Organismen unter bestimmten Bedingungen eine bestimmte Verhaltensweise zeigt,
da in der Verwandtenlinie des Organismus ähnliche Verhaltensweisen zu höheren
Fortpflanzungserfolgen geführt haben, was wiederum dazu führte, dass die
genetischen Grundlagen für dieses Verhalten weitervererbt wurden.
Evolutionsbiologen, können den ersten Satz hören (oder
lesen), und wissen, dass damit der zweite Satz gemeint ist. Außenstehende
können dies nicht. Sie hören den ersten Satz und gehen davon aus, dass
Organismen einen internen Rechenschieber besitzen mit dem sie permanent Kosten
und Nutzen jeder Entscheidung abwägen.
So toll unsere Sprache auch ist, sie ist noch immer ein sehr
unpräzise. Vor allem wenn es darum geht, Dinge zu beschreiben, für die sie nie
gedacht war.
Die biologische Evolution wirkt für uns wie ein
zielgerichteter, fortschreitender Prozess. Dabei ist sie es nicht. Sie ist ein
zielloses herumtüfteln an bereits existierenden Strukturen. Was für den Moment
funktioniert, egal wie Hirnrissig das Konstrukt auch manchmal erscheint (man werfe
nur einen genauen Blick auf den Aufbau des Linsenauges eines Wirbeltieres*),
wird beibehalten. Was nicht funktioniert verschwindet auf ewig. Wer darüber
entscheidet ist willkürlich. In der Retrospektive und durch die Brillen unseres
ewig nach Sinn suchenden Verstandes betrachtet, erscheint uns das Resultat
dieses Prozesses stets zweckmäßig. Dies hat jedoch damit zu tun, dass alles was
nicht zweckmäßig war, schon längst vom Angesicht der Erde getilgt wurde, bzw. nicht
einmal die Chance hatte sich in nennenswerter Häufigkeit zu manifestieren.
Die Evolutionstheorie ist deshalb einem großen
Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, weil sie sehr häufig unpräzise erklärt wird. Wir,
die wir über dieses Feld sprechen, müssen uns stets verdeutlichen worüber wir
sprechen und so präzise wie möglich in unseren Aussagen sein.
Der March of Progress ist die Repräsentation eines
kulturellen Selbstverständnisses. Die Evolution des Menschen sollte dieses
Selbstverständnis als quasi-religiöse Instanz rechtfertigen. Doch kann sie es nicht und sollte sie es auch
nicht.
Wenn wir wollen, dass die Evolutionstheorie endlich aus
ihrem ewigen Rechtfertigungsproblem entkommt, so müssen wir zunächst dafür
sorgen, sie als das darzustellen was sie ist und sie nicht als Vehikel für
unsere eigenen Hoffnungen und Träume zu missbrauchen.
*Unsere Photorezeptoren sind, bedingt durch ihren entwicklungsbiologischen
Ursprung, verkehrt herum auf der Netzhaut platziert. Hinzu kommt noch, dass
zwischen Rezeptoren und Linse noch Blutgefäße und Nervenfasern liegen. Wenn das
Linsenauge eines Wirbeltieren das Resultat eines intelligenten Designers war,
so muss dieser bei seiner Konzeption tierischen einen über den Durst getrunken
haben.