03.05.2011

Der Stopknopf öffnet nicht die Tür: Was uns Bus fahren über wissenschaftliches Arbeiten lehrt.

Ich habe keinen Führerschein und bin daher auf öffentliche Verkehrsmittel, für gewöhnlich ist dies der Bus, angewiesen um von A nach B zu kommen. Und auch wenn es manchmal ziemlich nervig ist, z.B. wenn man im Sommer gegen 10 Uhr zur Uni fahren möchte, so kann man doch eine ganze Reihe interessanter Verhaltensweisen beobachten. Wie zum Beispiel folgende:

In vielen Bussen sind drei Arten von Knöpfen untergebracht: „STOP“ Knöpfe um dem Busfahrer zu signalisieren an der nächsten Haltestelle anzuhalten, Knöpfe um eine Rollstuhlrampe anzufordern und, in längeren Bussen, Türöffner an der hintersten Tür. Letztere, und nur diese, öffnen, sobald der Bus anhält, auf Knopfdruck die hinterste Tür. Die vorderen Türen werden in aller Regel vom Busfahrer geöffnet und sind mit keinen Türöffnern verbunden.
Wir haben hier also zwei unterschiedliche Fälle, einmal gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Handlung „drücke Knopf“ und dem Ereignis „Tür öffnet sich“ und einmal gibt es diesen nicht. Das Problem ist hierbei jedoch, dass Fahrgäste, wenn sie auf an einer der vorderen Türen auf den nächstbesten Knopf drücken, keine Rückmeldung erhalten, das ihre Aktion nichts bewirkt, stattdessen öffnet sich, vom Busfahrer gesteuert, die Tür.


Diese Personen haben aus einer gewissen Anzahl von Erlebnissen ein allgemeines Prinzip abgeleitet: Wenn ich aus dem Bus aussteigen will, muss ich einen Knopf neben der Tür drücken. Dabei ist es vollkommen egal, ob auf diesem Knopf „Tür öffnen“, „STOP“ oder „Rampe anfordern“ steht.
Die meisten Leute werden mit Sicherheit, wenn man sie darauf anspricht, sagen, dass auf jeden Fall diese Knöpfe die Türen öffnen, schließlich funktioniert es ja jedes Mal, wenn sie aussteigen wollen. Das Problem hierbei ist, ist dass die Leute den Faktor „Busfahrer“ nicht kennen, d.h. wenn sie immer auf den Knopf drücken wenn der Bus hält, werden sie immer denken das sie es sind, die die Tür öffnen, anstatt das es der Busfahrer macht.


Die einzige Möglichkeit mit Sicherheit herauszufinden, ob das Prinzip „Knopf öffnet Tür“ tatsächlich allgemeingültig ist, ist die Falsifikation, d.h. wir müssen die Hypothese testen „alle Türen gehen von selbst auf“. Diese Hypothese lässt sich testen, indem man konsequent keinen Knopf betätigt, wenn man den Bus verlassen will und einfach beobachtet was passiert. Schnell wird man feststellen, dass diese Hypothese in bestimmten Fällen zutrifft und manchmal nicht. In jedem Fall bedeutet dies, dass die Eingangstheorie „Knopf öffnet Tür“ falsch ist, da sie nicht allgemeingültig ist. Durch die weiteren Beobachtungen kann man dann herausfinden, dass hinteren Türen in aller Regel mithilfe eines Knopfdrucks geöffnet werden, wohingegen die vorderste und mittlere Tür ohne Knopfdruck aufgehen. Dieser ganze Prozess würde also zur „speziellen Kausaltheorie der Bustüröffnung“ führen.


Mithilfe dieser Methode, würden diese Fahrgäste nicht nur aufhören wie pavlowsche Hunde auszusehen wenn sie den Bus verlassen möchten, sie hätten sogar gelernt wie man richtig Wissenschaft betreibt.

Ob man nun, wie ich als ich noch zur Schule gegangen bin, herausfinden will, wie die Türen im Bus funktionieren, oder ob ich eine  wissenschaftliche Theorie aufstellen möchte:
Ich kann mir niemals sicher sein kann, ob das Kausalprinzip was ich meine in der Natur erkannt zu haben, auch tatsächlich so existiert. Es ist immer möglich, dass es eine, mir noch unbekannte, weitere Kraft gibt (in unserem Beispiel der Busfahrer), die diesen von mir beschriebenen Mechanismus eigentlich steuert. Ich kann dies nur herausfinden, wenn ich alle anderen Alternativen verworfen, d.h. ausprobiert und für falsch befunden habe.
Im Grunde genommen wird moderne Wissenschaft auf diese Art und Weise betrieben. Jemand stellt eine Hypothese auf und alle Welt versucht diese zu widerlegen. Das ist einfach, wenn ich es mit Gegenwartswissenschaften wie z.B. der Physik zu tun habe, da ich dort in aller Regel Experimente bzw. mathematische Beweise durchführen kann. Problematischer wird das ganze in der Biologie.


Die Evolutionstheorie ist eine ziemlich widerliche Theorie, wenn wir sie aus wissenschaftstheoretischer Sicht betrachten. Sie funktioniert nämlich nur in der Retrospektive. Wir können zwar die basalen Mechanismen durch Laborversuche aufzeigen und testen, doch können wir z.B. Hypothesen wie der aufrechte Gang entstanden ist, nicht direkt im Labor testen, ebenso wenig wie wir in der Lage sind Verwandtschaftsbeziehungen von Tierarten direkt testen zu können. Alles was wir tun können, ist eine Theorie aufstellen in der z.B. ein Evolutionsökologisches Szenario beschrieben wird in dem ein Bestimmter Merkmalswandel vonstatten ging. Dieses Szenario, und die damit postulierte Merkmalstransformation, ließe sich theoretisch durch Fossilfunde falsifizieren. Wir können unsere Hypothesen letztendlich also nur „quasi-experimentell“ nachweisen, was natürlich nicht sehr befriedigend ist. Was das ganze noch erschwert, ist der Punkt, dass ich in der Lage sein muss meine Hypothesen in irgendeiner Form auf Fossilfunde zu beziehen, weswegen vor allem Hypothesen was die Evolution bestimmter Verhaltensweisen angeht häufig am Rande des „story-tellings“ entlangschrammen. Denn dummerweise sagt uns ein Haufen Knochen nur ziemlich wenig darüber, wie genau sich unsere Vorfahren verhalten haben, ob sie sprechen konnten und wie stark ihre kognitiven Fähigkeiten entwickelt waren.
Das ganze lässt natürlich einen großen Raum für Spekulationen offen und immer wieder wurden Hypothesen zur Evolution des Menschen entweder ideologisch geprägt, oder von Ideologien missbraucht. Man muss stets im Kopf behalten, dass man als Anthropologe nicht nur Aussagen über die Evolution unser eigenen Art trifft, sondern gleichzeitig auch auf philosophischer Ebene beschreibt, was der Mensch ist was ihn definiert.

Aus diesem Grunde, ist es, meiner Meinung nach, extrem wichtig über die wissenschaftstheoretischen Grenzen des eigenen Faches, sowie über die Art und Weise „gute“ wissenschaftliche Theorien aufzustellen, Bescheid zu wissen.