29.05.2010

Es geht los! War Ardipithecus wirklich ein Hominide?

ResearchBlogging.orgBei der Darstellung der, gestern in Science erschienenen, Ardipithecus Kritik, hat Zinjanthropus drüben bei  "A Primate of modern aspect" eine sehr interessante Frage aufgeworfen.





Doch bevor ich mich der Beantwortung dieser Frage widme, eine kurze Zusammenfassung des Sachverhalts.
Im Grunde genommen gab es zwei Kritikpunkte, der eine drehte sich um die Klassifikation von Ardipithecus ramidus als Hominide, also in der Stammlinie zum Menschen stehend. In einem anderen Artikel ging es um den rekonstruierten Lebensraum von Ardipithecus. Ich konzentriere mich, weil ich mich damit etwas besser auskenne, nur auf den Klassifikationsartikel.
Dort wurde von Esteban Sarmiento kritisiert, dass die Merkmale, die für die Klassifikation von Ardipithecus als Hominide angeführt wurden, allesamt nur eine geringe phylogenetische Aussagekraft besitzen, da ein Großteil davon auch in vielen anderen Primatenarten, sowohl fossil als auch rezenten, zu finden sei.
Tim White und Kollegen, die die ursprüngliche Klassifikation von Ardipithecus vornahmen antworteten auf diesen Vorwurf, dass viele dieser Merkmale entweder in gleicher oder abgeleiteter Form auch bei den Australopithecinen zu finden seien und daher ein Merkmalskontinuum, ein so genanntes „Morphokline“ bilden und daher Ardipithecus zu den Hominiden gezählt werden kann.


Die Frage die nun gestern bei „A Primate of modern Aspect“ aufgeworfen wurde war folgende (ich hab sie jetzt mal übersetzt): „Welche Merkmale sind ‚gute’ Merkmale?“ Will heißen: “ Welche Merkmale sind denn nun wirklich gut für phylogenetische Analysen und Klassifikationen geeignet?"
Diese Frage lässt sich für morphologische Merkmale im Grunde überhaupt nicht beantworten weswegen ich versuchen will das Problem in einer etwas allgemeineren Form anzugehen.
„Gute“ Merkmale, sind zunächst einmal Merkmale mit einer besonders geringen Wahrscheinlichkeit mehrmals unabhängig voneinander erworben zu werden. Gut, dass ist wahrscheinlich ziemlich offensichtlich und deshalb auch nicht wirklich erhellend, vielleicht sollte man eine andere Frage stellen. Wie wär’s mit folgender: “Führt eine große Anzahl Merkmale mit geringer Qualität zu ‚guten’ Phylogenetischen Hypothesen?“


Zu Beantwortung dieser Frage lohnt sich ein Blick auf die molekulare Kladistik, denn je nach Methode kann man dort eine gewaltige Anzahl Merkmale mit jeweils geringer Aussagekraft (Sequenzvergleiche) oder wenige, komplexe Merkmale mit hoher phylogenetischer Signifikanz (so genannte „Rare genomic changes“) betrachten. In der Tat finden sich, unter Umständen gewaltige Unterschiede zwischen beiden Herangehensweisen, wie folgendes Beispiel zeigt.
Im Jahr 2002 haben Arnason und Kollegen eine Studie zur Verwandtschaft der Säugetiere vorgelegt, die sie mithilfe eines Vergleichs mitochondrialer DNA Sequenzen durchgeführt haben. In dieser Studie wurden die Flattermakis (eine mögliche Schwestergruppe der Primaten) innerhalb der Primaten und zwar als Schwestergruppe zu den Anthropoidea (Alt- und Neuweltaffen) platziert.
Wenn ich DNA Sequenzen vergleiche, so wird jedes Nucleotid als ein Merkmal betrachtet, dieses kann allerdings nur vier Zustände haben (A, T, G und C), ist damit also sehr anfällig für konvergente Evolution. Das ist besonders dann der Fall, wenn ich DNA Abschnitte betrachte die in verschiedenen Spezies unterschiedlich schnell evolvieren, wie es zufälligerweise bei der mitochondrialen DNA der Primaten der Fall ist (Lee, 1999), denn je schneller ein DNA Abschnitt evolviert, desto schneller geht die phylogenetisch relevante Information verloren.
Schmitz et al. (2002) konnten schließlich mithilfe von Rare genomic Changes (RGCs) zeigen, dass die Resultate von Arnason und Kollegen auf einem Artefakt beruhten und nicht die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse repräsentierten.
RGCs haben den Vorteil, dass sie so selten im Genom vorkommen, dass die Wahrscheinlichkeit dass diese mehrmals unabhängig voneinander entstehen äußerst gering ist.


Gut, was hat das ganze jetzt mit Ardipithecus zu tun? Schließlich haben wir von dem Vieh ja keine DNA oder? Richtig haben wir nicht. Aber das Beispiel zeigt dass ich, auch wenn ich eine hohe Anzahl an Merkmale mit geringer phylogenetischer Aussagekraft habe, nicht per se davon ausgehen kann, dass ich ihre geringe Qualität durch ihre hohe Quantität wettmachen kann. Denn selbst wenn ich eine große Anzahl an Merkmale habe, so ist jede einzelne für sich gesehen noch immer anfällig für konvergente Evolution und damit eine Gefahr für meine Klassifikation. Man sollte in der Morphologie vielleicht aufhören Merkmale als einzelne Phänomene zu betrachten. Es wäre vielleicht besser zu versuche ob man nicht komplexere Strukturen finden kann, die wesentlich weniger anfällig für dieses lästige Homoplasieproblem sind.

Das alles bedeutet nicht, dass ich die Argumente von Herrn Sarmiento teile, aber ich kann seinen Standpunkt und seine Kritik sehr gut nachvollziehen und ich finde es sehr gut, dass jemand diese Punkte angemerkt hat. Ich hab nämlich sehr oft den Eindruck, dass ein Fossil, wenn es möglicherweise Biped war, automatisch in die Stammlinie zum Menschen gestellt wird ohne Fragen über seine tatsächliche phylogenetische Verwandtschaft zu stellen.
Ich vermute auch, dass der Vorwurf, den Samiento im ersten Absatz seines Artikels geäußert hat, dass White und Kollegen eine Form von Stufenleitermodell (Scala naturae) der Evolution des Menschen anwenden, in diesem Zusammenhang zu sehen ist.
Ich könnte jetzt noch eine ganze Ecke weiterer Argumente bringen, aber das Spar ich mir für nächste Woche, nachdem ich dieses Magisterarbeitsexposé fertig gestellt habe.

 Literatur:

Arnason, U. (2002). Mammalian mitogenomic relationships and the root of the eutherian tree Proceedings of the National Academy of Sciences, 99 (12), 8151-8156 DOI: 10.1073/pnas.102164299
Lee, M.S.Y. (1999). Molecular Phylogenies become functional Trends Ecol. Evol., 14, 177-178
Sarmiento, E. (2010). Comment on the Paleobiology and Classification of Ardipithecus ramidus Science, 328 (5982), 1105-1105 DOI: 10.1126/science.1184148
Schmitz J, Ohme M, Suryobroto B, & Zischler H (2002). The colugo (Cynocephalus variegatus, Dermoptera): the primates' gliding sister? Molecular biology and evolution, 19 (12), 2308-12 PMID: 12446821
White, T., Asfaw, B., Beyene, Y., Haile-Selassie, Y., Lovejoy, C., Suwa, G., & WoldeGabriel, G. (2009). Ardipithecus ramidus and the Paleobiology of Early Hominids Science, 326 (5949), 64-64 DOI: 10.1126/science.1175802
White, T., Suwa, G., & Lovejoy, C. (2010). Response to Comment on the Paleobiology and Classification of Ardipithecus ramidus Science, 328 (5982), 1105-1105 DOI: 10.1126/science.1185462

27.05.2010

Ging dem aufrechten Gang der Knöchelgang voraus?

ResearchBlogging.orgIch versuche momentan eine Idee, die ich vor ein paar Monaten beim Lesen dieses Artikels bekommen habe, in irgendeiner Form zu einem Magisterarbeitsthema verarbeiten zu können, damit ich vielleicht etwas leichter einen Betreuer dafür finde, als wenn ich die Personen einfach blind anschreibe.




Über den genauen Gedanken den ich habe, werde ich demnächst hier auch etwas schreiben. Heute möchte ich über ein verwandtes Thema schreiben, nämlich über die Frage, ob bei Gorillas und Schimpansen der Knöchelgang unabhängig voneinander entstanden ist.
In aller Regel wir davon ausgegangen, dass es einen so genannten „Knöchelgang-Komplex“, also einen Komplex von funktionspezifischen Merkmalen, in Hand und Handgelenk von Schimpansen und Gorillas gibt. Wenn es diesen Komplex tatsächlich gibt, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sich sowohl beim Gorilla als auch beim Schimpansen an bestimmten Knochen die gleichen Merkmale finden lassen.


Handhaltung beim Knöchelgang (Henke, Rothe, 1994)




Wenn funktionale Merkmale für den Knöchelgang in einem Komplex evolvieren, so ist auch davon auszugehen, dass diese in einer statistischen Analyse untereinander höher korrelieren als wenn sie mit anderen, nicht mit dem Knöchelgang in Verbindung gebrachten Merkmalen, verknüpft werden.
Eine solche Analyse an Handgelenks und Fingerknochen wurde von Scott Williams (2010) durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass es zumindest in den untersuchten Strukturen, keinerlei Belege für einen Knöchelgangkomplex gibt.


Was ich ganz interessant an dem Artikel finde ist die Eingangshypothese von Williams:
Er behauptet, dass es, wenn es einen solchen Knöchelgangkomplex gibt, wahrscheinlicher ist, dass dieser mehrmals unabhängig entstanden sein kann.
Aus seinen Ergebnissen (es gibt keinen Komplex) folgerte er dann selbstverständlich, dass es wahrscheinlicher ist, dass der Knöchelgang nur einmal, nämlich vor der Trennung der Linien von Gorilla und Schimpanse/Mensch entstanden ist. Das bedeutet, dass auch die Frage nach dem Ursprung der menschlichen Bipedie in einem Zusammenhang mit einem auf Knöcheln gehenden gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse zu stellen ist.


Ich finde diese Schlussfolgerung allerdings etwas problematisch. Zum einen finde ich seine Annahme, dass das Vorhandensein eines funktionalen Komplexes für eine unabhängige Evolution des Knöchelgangs spricht etwas merkwürdig. Zuvor habe ich immer gedacht, dass  ein Merkmal eher dann „homolog“ sind, wenn aus den gleichen Strukturen entstanden sind, so hab ich das zumindest gelernt. Wenn ich jetzt also einen Komplex an Merkmalen, bei nah verwandten Arten, finde die mit dem Knöchelgang in Verbindung gebracht werden, so ist doch davon auszugehen, dass diese Merkmale bei der einmaligen Evolution des Knöchelganges entstanden sind. Im Gegenzug würde das Fehlen eines solchen Komplexes, doch eher dafür sprechen, dass das Merkmal „Knöchelgang“ zwar in seiner Funktion gleich, aber in seinen Strukturen unterschiedlich, also „analog“ ist und somit unabhängig voneinander entstanden ist.


Es gibt noch weitere Punkte die, meiner Meinung nach, gegen Williams Schlussfolgerungen sprechen könnten:
So unterscheiden sich Gorilla und Schimpanse recht stark in der Art und Weise wie sie ihre Hände beim Knöchelgang einsetzen. Gorillas strecken beim Knöchelgang ihren Arm und ihr Handgelenk durch und ihre Handflächen sind nach hinten gerichtet. Schimpansen dagegen winkeln ihre Handgelenke etwas an und setzen in aller Regel ihre Hände mit den Handflächen nach innen auf.
Druckplattenexperimte mit Schimpansen (Wunderlich, Jungers, 2009) haben gezeigt, dass Schimpansen beim Knöchelgang ihre Finger nacheinander (zuerst den kleinen Finger, zuletzt den Zeigefinger) aufsetzen, wenn sie die Handflächen nach innen gerichtet haben und alle Finger gleichzeitig, wenn sie die Handflächen nach hinten gerichtet haben. Die Hauptlast liegt hierbei jeweils auf dem 3. Finger, also dem Mittelfinger, ansonsten ist die Lastverteilung bei beiden Handpositionen unterschiedlich. Leider gibt es keine Studie die mit Gorillas durchgeführt wurde, doch ist davon auszugehen, dass auch bei Gorillas die Hand eher komplett aufgesetzt wird, wenn die Handflächen nach hinten gerichtet sind. In dieser Hinsicht ist es auch nicht überraschend, dass Merkmale, die man immer mit dem Knöchelgang in Verbindung gebracht hat, nicht konsequent bei allen Menschenaffen zu finden sind und das auch Ontogenetische Daten eher gegen einen gemeinsamen Ursprung des Knöchelgangs sprechen (Kivell, Schmitt, 2009).
Selbstverständlich können diese Unterschiede, wie Williams (2010) ebenso anmerkt, erst nach der Trennung der Linien von Gorilla und Schimpanse/Mensch entstanden sein, deshalb wäre es vielleicht ganz interessant mal zu sehen, welche dieser Merkmale mit dem höheren Körpergewicht und der damit höheren Belastung der Handgelenke beim Gorilla zu erklären sind.


Wie man sehen kann ist das Bild ziemlich diffus, wenn sie die beiden Arten ansieht. Das Problem ist nämlich, dass wir beim Entstehen der Merkmale nicht dabei waren, wir also nur retrospektiv erkennen könne, ob ein Merkmal einmal, oder zweimal entstanden ist.
An dieser Stelle wird sehr häufig dann der Satz gesagt:“ Neue Fossilien aus (beliebige Zeitperiode einfügen) werden helfen, dieses Problem zu lösen.“


Da schöne an dieser Sache ist, wir müssen dieses Satz nicht sagen, denn wir haben ja Ardipithecus ramidus!

Nur zur Erinnerung: Im letzten Oktober wurde eine ganze Reihe von Knochen und Funden von Ardipithecus ramidus vorgestellt unter anderem auch eine doch ziemlich komplette Hand, inklusive Handgelenksknochen.
Die Morphologie der Hand von Ardipithecus ist sehr ursprünglich, d.h. sie ähnelt stark der von frühen Menschenaffen (z.B. Proconsul). Diese frühen Menschenaffen bewegten sich nicht wie rezenten Menschenaffen suspensorisch, also unterhalb der Äste hängend bzw. Hangelnd, fort sondern liefen auf den Ästen und umfassten dabei die Äste mit ihren Händen.



Os capitatum (Kopfbein) von Schimpanse, Ardipithecus ramidus und Mensch (Lovejoy et al., 2009)

Zudem fanden sich keinerlei Merkmale, die man in irgendeiner Form mit Knöchelgang in Verbindung bringt bei Ardipithecus. Nun gut, man kann jetzt einwerfen, dass Ardipithecus ja auch auf zwei Beinen lief und daher keinen Knöchelgang mehr gebraucht hat. Aber warum dann noch diese ursprüngliche Handmorphologie? Zudem ähnelt diese Handmorphologie wesentlich eher der unsrigen, als die Morphologie der Hände von Gorilla und Schimpanse. Natürlich könnte der Weg auch von einem generalisierten Menschenaffen, über eine suspensorische, eine suspensorisch knöchelgehende hin zu einer am Boden aufrecht gehend/auf den Bäumen Palmigrad-gehende Form gegangen sein. Aber wie wahrscheinlich ist das?
Die Alternative wäre, dass alle Formen aus einer eher generalisierten Form entstanden sind und ihre Merkmale unabhängig voneinander erworben haben. Gestützt wird diese Annahme, durch die Tatsache, dass Menschenaffen im Miozän (20-5 Mio. Jahre) sehr weit verbreitet waren und eine enorm hohe Diversität, vor allem bei den Lokomotionsformen, aufwiesen.
Interessanterweise wird der Artikel von Lovejoy und Kollegen zwar von Williams zitiert, doch geht er nicht wirklich auf die dort präsentierten Argumente ein.


Diese Geschichte zeigt, so denke ich, ganz gut, warum man sich nicht komplett auf Studien an rezentem Material verlassen sollte.
Selbstverständlich liefern sie uns wichtige Anhaltspunkte über die Art und Weise wie Merkmale und bestimmte Strukturen aufgebaut sind, doch liefern sie nur sehr grobe Vorbilder für die Vergangenheit ab. Und wie ich bereits sagte, häufig wird nach Fossilien geschrien die uns helfen Fragen nach der Homologie oder Analogie bestimmter Merkmale zu beantworten. Ich denke, wenn man mal das Glück hat eins zu haben und solange sich an der Interpretation dieser Überreste nichts ändert, ist davon auszugehen, dass es wahrscheinlicher war, dass der Knöchelgang beim Schimpanse und Gorilla unabhängig voneinander entstanden ist.


Das führt natürlich auch dazu, dass der Aufrechte Gang nicht im Zusammenhang mit einem Knöchelgehendem Vorfahren zu sehen ist, sondern anders erklärt werden müsste.


Darauf werde ich demnächst mal eingehen.


P.S.: Wenn irgendjemand Zugang zum "Journal of Zoology" hat und mir folgenden Artikel schicken kann (Email: edgarneubauer[at]gmx.de)  wäre ich sehr glücklich.

Larson, S. G., Stern, J. T. (2009). EMG of chimpanzee shoulder muscles during knuckle-walking: problems of terrestrial locomotion in a suspensory adapted primate. Journal of Zoology, 212 (4). S. 629-655.


Literatur:


Henke, W., Rothe, H. (1994) Paläoanthropologie. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
Kivell, T., Schmitt, D. (2009). Independent evolution of knuckle-walking in African apes shows that humans did not evolve from a knuckle-walking ancestor Proceedings of the National Academy of Sciences, 106 (34), 14241-14246 DOI: 10.1073/pnas.0901280106
Lovejoy, C., Simpson, S., White, T., Asfaw, B., Suwa, G. (2009). Careful Climbing in the Miocene: The Forelimbs of Ardipithecus ramidus and Humans Are Primitive Science, 326 (5949), 70-70 DOI:
10.1126/science.1175827
Williams, S. (2010). Morphological integration and the evolution of knuckle-walking Journal of Human Evolution, 58 (5), 432-440 DOI: 10.1016/j.jhevol.2010.03.005
Wunderlich, R., Jungers, W. (2009). Manual digital pressures during knuckle-walking in chimpanzees American Journal of Physical Anthropology, 139 (3), 394-403 DOI: 10.1002/ajpa.20994


Blogartikel zu diesem Thema:

Did knuckle-walking evolved twice?
The Hands of Ardipithecus ramidus
The general ape-body-plan
So-did-knuckle-walking-evolve-twice?

07.05.2010

Der Neandertaler lebt!

Ich hab diese Nachricht schon vor knapp zwei Monaten im Neanderthalmuseum gehört, jedoch wurde mir verboten darüber zu sprechen. Jetzt wo die Nachricht raus ist kann ich endlich mein schweigen brechen:

Analysen des sequenzierten Neandertalergenoms am MPI in  Leipzig haben gezeigt, dass es wohl doch zu einer genetischen Vermischung von Neandertaler und modernen Mensch kam. Diese Nachricht ist wirklich erstaunlich, weil die allgemeine Lehrmeinung bislang vom Gegenteil ausging. Demzufolge wird es in den nächsten Monaten und Jahren vermutlich hoch hergehen, wenn die momentan aufgestellten Modelle und Hypothesen einer Revision unterzogen werden müssen.

Ich hab leider momentan nicht die Zeit mir die Artikel vorzuknöpfen und selbst etwas dazu schreiben zu können, stattdessen verweise ich alle Interessierten einfach an John Hawks, der ohnehin wesentlich mehr Kompetenz besitzt diese Dinge zu analysieren.

Es ist wirklich eine tolle Zeit für Paläoanthropologen, letztes Jahr kam Ardipithecus, dann vor ein paar Monaten Australopithecus sediba und jetzt diese diese Nachricht. Ich vermute mal das es doch einige Jahre braucht um all diese Entdeckungen richtig einordnen zu können, was im Gegenzug bedeutet, dass es wahrscheinlich mehr als genug Arbeit für Forscher geben dürfte. Eine Tatsache die mir doch etwas Hoffnung macht.

06.05.2010

Warum wir (Halb-)Marathon laufen können.

ResearchBlogging.org
Da ich diesen Sonntag wieder einmal Halbmarathon laufen werde (es ist das vierte Mal für mich), möchte ich aus aktuellem Anlasse mal eines meiner Lieblingsmodelle aus der Paläoanthropologie darstellen:



Der Allgemeine Tenor, wenn es um die körperlichen Fähigkeiten des Menschen geht ist ja der, dass er im Grunde genommen nichts kann. In aller Regel sind die meisten Tiere schneller, stärker und haben obendrein auch noch natürliche Waffen in Form von Zähnen oder Krallen.
Der Mensch ist, aus dieser Sicht betrachtet, ein nackter, schwächlicher Affe, der Glück hat, das er relativ intelligent ist, weil er ansonsten von anderen Tieren aufgefressen wird.


In vielen Punkten mag das ja stimmen, aber nicht in allen.
Zwar ist der Mensch im Sprint wesentlich langsamer als die meisten anderen Tiere und auch kann er dieses Tempo nicht sehr lange durchhalten. Das maximale Tempo, dass ein Mensch im Sprint erreichen kann sind ca. 10m/s und das auch nur für knappe 15 Sekunden, bestimmte Antilopen hingegen schaffen es ein Tempo von 15-20 m/s über mehrere Minuten zu halten. Außerdem Rennen für den Menschen energetisch nicht wirklich günstig, es kostet ungefähr doppelt so viel Energie wie bei einem anderem Tier mit vergleichbarer Körpermasse.
Bei Strecken die länger sind als zwei Kilometer, beginnt sich dieses Verhältnis jedoch zu ändern. Was das Laufen langer Strecken in relativ hohem Tempo angeht, sind die Fähigkeiten des Menschen mit denen von Wölfen, Hyänen und Wildhunden vergleichbar.
Außerdem ist das Laufen beim Menschen energetisch insgesamt zwar teuerer als bei anderen Tieren aber dafür ist der Mensch in der Lage eine wesentlich größere Bandbreite an Geschwindigkeiten zu laufen ohne das dabei der Energieverbrauch steigt, wie auch folgende Abbildung zeigt:




Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Energieverbrauch bei unterschiedlichen Fortbeweungsarten (Gehen, Trab,  leichter Galopp) für Mensch (durchgezogene Linie) und Pferd (gestrichelte Linie) (Aus: Carrier, 1984).




Es gibt mehrere Merkmale am Menschlichen Körper, die für dieses günstige Verhältnis zuständig sind:

Zum einen gibt es in den Beinen Strukturen die beim Laufen die Energie die beim Auftreten des auf den Boden entstehen Speichern und beim Abdrücken, ähnlich einer Sprungfeder, wieder abgeben können. Das ist beispielsweise die Achillessehne aber auch das Fußgewölbe. Außerdem wird beim Menschen ein höheres Tempo in zunächst durch eine höhere Schrittlänge bestimmt und nicht durch eine höhere Schrittfrequenz, dies wird vor allem durch die langen, flexiblen Beine bewerkstelligt die wir haben (Bramble, Lieberman; 2004).
Bei solchen Merkmalen, die in erster Linie keine Nebenprodukte des aufrechten Ganges sind, stellt sich natürlich die Frage nach deren evolutionärem Ursprung.


Lieberman und Kollegen (2009) haben ein Modell entwickelt bei der die Evolution der Anpassungen an das Ausdauerlaufen vor allem mit den Anforderungen der Savanne und der Suche nach Kadavern bzw. der Jagd nach Tieren erklärt wird.
Um Konkurrenz mit anderen großen Raubtieren (Löwen, Hyänen) zu vermeiden, die hauptsächlich in der Dämmerung bzw. Nacht aktiv sind, blieb im Grunde genommen nur der Tag übrig um auf die Suche nach Fleisch zu gehen, sei es jetzt in Form von aktiv erlegter Beute oder in Form von Aas. Um jedoch am Tag größere Strecken zurücklegen zu können, war zusätzlich zu einer hohen Ausdauer auch noch die Fähigkeit nötig die Körpertemperatur niedrig zu halten. Dies wird beim Menschen über das Ausscheiden von Schweiß geregelt, der auf der haarlosen Haut ziemlich schnell verdunsten kann. Durch das Schwitzen kommen allerdings noch ein paar Nachteile hinzu auf die ich später zu sprechen komme.
Bei der Suche nach Aas kann eine größere Ausdauer von Vorteil sein, da man ein größeres Gebiet durchstreifen kann und so die Wahrscheinlichkeit erhöht einen noch unentdeckten Kadaver zu finden.


Wie sieht es aber bei der Jagd aus?
Tatsächlich ist der Mensch in der Lage Tiere zu Tode zu hetzen. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass die meisten anderen Tiere ihre Körpertemperatur während körperlicher Anstrengung nur schlecht regulieren können, da diese dafür hecheln müssen. Da man die Atemfrequenz in aller Regel jedoch nicht unabhängig von der Lauf bzw. Pulsfrequenz erhöhen bzw. erniedrigen kann bedeutet das, dass Tiere nur in hecheln können wenn sie inaktiv sind. Menschen nutzen diesen Zusammenhang aus in dem sie einmal geflohene Tiere immer wieder aufscheuchen, bis diese aufgrund einer zu hohen Körpertemperatur kollabieren.


Der Jagdaspekt könnte, auch eine gewisse Rolle bei der Entwicklung menschlicher Intelligenz gespielt haben, denn um eine solche form der Jagd durchführen zu können muss man koordiniert und planvoll vorgehen (wer scheucht auf, wer verfolgt das Tier etc.) außerdem muss man in der Lage sein das Tier was man jagen will immer wieder aufzuspüren, dass heißt man muss Spuren lesen können.


Beide Verhaltensweisen sind durch ethnologische Beobachtungen beim modernen Menschen belegt, die Frage die sich stellt ist, sind wir in der Lage verlässliche Aussagen darüber treffen zu können, inwiefern frühere Menschenformen an Ausdauerlaufen angepasst waren bzw. ob die Anpassungen ans Ausdauerlaufen wie wir es bei uns sehen können als Reaktion an die oben geschilderten Anforderungen (Jagd/Kadaversuche) entstanden sind.
Wie meist bei Paläoanthropologischen Modellen, lassen sich nur einzelne Aspekte der Modelle tatsächlich an Fossilien überprüfen. Sowohl die Ausstattung an Schweißdrüsen als auch der Grad der Körperbehaarung lassen sich überhaupt nicht überprüfen, da sich diese Merkmale nicht an Fossilien finden lassen. Was man feststellen kann ist die Art und Weise wieder Muskel und Sehnenapparat an den Beinen aufgebaut war und wie die Allgemeine Körperform war. Findet man hier parallelen zu der Merkmalskonfiguration des modernen Menschen so kann davon ausgehen, dass diese früheren Formen bis zu einem gewissen Grad, zu ähnlichen körperlichen Leistungen in der Lage waren wie wir es heutzutage sind.
Die Autoren der unten zitierten Studien gehen davon aus, dass schon Homo erectus zu Ausdauerlaufen in der Lage war.


Das ganze vorgestellte Modell hat jedoch einen Schwachpunkt. Menschen sind nur dann in der Lage bei hohen Temperaturen lange Strecken zurück zu legen, wenn sie genügend Wasser und Salz zur Verfügung haben. Wie wichtig die Wasserversorgung ist sieht man bei Langstreckenläufen wo alle 3-5 km Getränkestände aufgestellt sind und die meisten Läufer deshalb aufgeben müssen, weil sie irgendwann dehydrieren. Wenn wir davon ausgehen, dass Homo erectus in der Lage war Hetzjagden auf größere Tiere durchzuführen, so müsste er auch schon in der Lage sein Speichergefäße für Wasser zu besitzen. Auch das ist ein Aspekt der sich schwer bis gar nicht nachweisen lässt.
Was man jedoch festhalten sollte ist folgendes: Der moderne Mensch besitzt die lange Strecken in einem recht hohen Tempo zurückzulegen, eine Fähigkeit die ihn unter Primaten einzigartig macht und unter Tieren im Allgemeinen zu einem sehr seltenen Fall. Und davon ausgehend, dass alle Merkmale des modernen Menschen das Produkt eines evolutionären Anpassungsprozesses sind, so ist es die Aufgabe der Anthropologie auch nach Modellen und Erklärungen für dieses Phänomen zu suchen, auch wenn diese, von einem wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus, manchmal nur schwer zu akzeptieren sind.


Warum auch immer der Mensch diese Fähigkeit erworben hat, heutzutage wird das Laufen nahezu ausschließlich als Freizeitaufgabe wahrgenommen, moderne Errungenschaften haben es scheinbar unnötig gemacht. Und da wir diese wunderbare Fähigkeit noch besitzen, wäre es doch eine Schande wenn wir sie nicht pflegen würden.
Und genau das habe ich diesen Sonntag vor und wenn mich nicht der Nachteil unseres Thermoregulationsprozesses erwischt oder Savannenartige Temperaturen herrschen, wird es sogar Spaß machen.



Literatur:
Bramble DM, Lieberman DE (2004). Endurance running and the evolution of Homo. Nature, 432 (7015), 345-52 PMID: 15549097
Carrier, D.R. (1984). The energetic Paradox of Human running and Human evolution Current Anthropology, 25 (4), 483-495
Lieberman, D.E., Bramble, D.M., Raichlen, D.A., Shea, J.J. (2009). Brains, Brawns and the Evolution of Human Endurance running capabilities. In: Grine, F.E., Fleagle, J.G., Leakey, R.E. (eds.). The first humans. Origin and early evolution of the Genus Homo. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York. S. 77-93.